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Gastbeitrag von Timm Urschinger

Super agil! Warum machen wir dann am Jahresende immer so einen Stress?

Ja ist denn schon wieder Jahresende? Oder zumindest in Sichtweite? „Plötzlich“ müssen Ziele erreicht werden, die bereits seit Januar feststehen. Wir sollten Budgets für irgendetwas ausgegeben und die jährlichen Mitarbeitergespräche durchführen. Und auf jeden Fall braucht es noch schnell einen Team-Workshop. Verrückte (Business-)Welt! Da wollen und sollen wir alle, ob Unternehmen oder Einzelner, super beweglich und flexibel sein, transformieren alles und jeden ... und zum Jahreswechsel holt uns die Vergangenheit schneller ein, als wir „agil“ sagen können.  Warum machen wir spätestens ab dem 4. Quartal immer so einen Stress?

CAREERS LOUNGE präsentiert Gastbeiträge: Timm Urschinger
Ja ist denn schon wieder Jahresende?

Unternehmen haben (oder denken zumindest nach über) OKRs und OBPs, Rolling Budgets oder Portfolios – und doch nützen all die „Objectives and Key Results“, das „Outcome Based Planning“ oder die 90-Tage-Zyklen nichts. Kaum ist der Sommer und die Urlaubszeit vorbei, besinnt man sich doch lieber wieder auf die guten alten Jahresziele. Auf dem Papier hat man sich dem modernen Performance-Management verpflichtet, sich für kürzere Ziel-Zyklen entschieden, und nichts desto trotz herrscht ab Oktober in zahlreichen Unternehmen Ausnahmezustand. Hektisch werden Zahlen in den Raum geworfen. Der Jahreswechsel kritisch beäugt. Führungskräfte müssen sich für die (nicht erreichten) Ergebnisse rechtfertigen. Mitarbeiter werden an allem möglichen gemessen – nur nicht an ihrer eigenen Leistung. Für Chefs und Manager, Berater und Coaches ist das Q4 oftmals eine Katastrophe. Alles muss jetzt schnell gehen, eben hier und da etwas erledigt, dieses oder jenes erreicht werden bis zum 23. Dezember. Das Projekt abgeschlossen, noch Teilergebnisse erzielt – dazwischen ein Leadership-Meeting und ein Workshop fürs Team. Und irgendwie hoffen alle, dass die verbleibenden Wochen dafür ausreichen.

Relevanz in Frage stellen

Wir alle kennen sie, die ganzen klassischen Methoden und Vorgänge, die aus der Jahresplanung entstanden sind. Ja, so etwas kann uns in unsicheren Zeiten nach wie vor als Kompass dienen, und mittel- und langfristig den Weg weisen – aber als tatsächliches tägliches, wöchentliches oder monatliches Planungsmittel ist es nicht zeitgemäß. Dementsprechend sollten wir es auch zum Jahresende hin nicht mehr strapazieren! Jahres(ziel)planungen, die uns am Ende des Jahres wasserfallartig in einen Strudel überstürzter Hauruck-Maßnahmen ziehen, zerstören unseren Weg der Transformation. Wenn wir alle so agil sind, wie wir immer behaupten, dürften all diese Dinge eigentlich – theoretisch und praktisch – nicht mehr relevant sein. Und trotzdem sind sie es. Trotzdem sind sie nach wie vor in Unternehmen und Organisationen präsenter denn je. Aber warum ist das so? Oder warum ist es nicht anders?

Betrachten wir die Bereiche Budgetplanung, Business-Planning-Zyklen und Portfolio-Themen einmal etwas genauer, stellen wir sehr schnell fest: Portfolios müssten nicht unbedingt zum Jahresende unter die Lupe genommen werden. Wozu auch, wenn wir ohnehin 90-Tages-Zyklen haben und alles agil angehen? Falls überhaupt, macht das nur in Zusammenhang mit Budgets Sinn oder wenn bestimmte Ziele für das Performance-Management wichtig sind. Insofern stellt sich zurecht die Frage, wie wir Budgets flexibler gestalten können. Gängige Ansätze sind Rolling Portfolios oder einen Budget-Topf, der meist ohnehin eingeplant ist, und mit dem man eine bestimmte Summe XY immer mal zuweisen kann. Würde man beides machen, könnten Unternehmen ohne den Budget-Prozess zu ändern das Portfolio-Thema verschieben.

Einfach mal anders betrachten – und machen

Viele Unternehmen kennen und nutzen inzwischen durchaus agile Methoden, wie Scrum und darin Sprints als regelmäßig, wiederholbare Arbeitszyklen (denen es übrigens egal ist, ob es Februar, August oder eben Dezember ist). Immer mehr Organisationen haben besagte OKRs oder OBPs; Führungskräfte und Mitarbeiter arbeiten zunehmend selbstorganisiert. Aber am Ende gibt es eben immer noch Elemente, die eher auf Jahresbasis funktionieren. Klassischerweise sind das vor allem Budget-, Projekt- oder Portfoliothemen. Business-Planning-Zyklen, die einer durchaus sinnvollen Vision entspringen können, im Zuge derer irgendjemand in einem Strategie-Meeting einmal gesagt hat: „Wir müssen bis Jahresende noch dieses und jenes Projekt abgeschlossen, ein bestimmtes Tool implementiert haben usw.“

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Die Crux ist: Selbst, wenn Führungskräfte merken, dass dieses Vorgehen nicht förderlich ist – weder für die Mitarbeiter noch für die Organisation oder sie selbst, schaffen sie es nicht, den Teufelskreis zu stoppen. Viel zu lange ist man in diesem Hamsterrad gefangen. Und dass dieses sich zum Jahresendspurt schneller drehen muss, ist ja schon immer so gewesen. Dann gibt man eben noch einmal Gas, langt zusammen, schimpft und schnauft, aber hält das Rad trotzdem am Laufen bzw. sogar unter Dampf, damit es sich ordentlich dreht ... und man sich die Auszeit zum Jahreswechsel verdient hat. STOP! Wir können diesen Wahnsinn gemeinsam beenden. Aber dazu müssen wir uns das Ganze einmal etwas genauer ansehen. Und das ruhig kritisch!

Ein agiles Umfeld kennt keinen Jahresabschluss

Der Aufbau und die Pflege eines agilen Umfelds ist ein fortlaufender Prozess, der zwar einen Startzeitpunkt hat, aber nie endet – und demzufolge auch keinen Jahresabschluss am 31. Dezember kennt. In der Vergangenheit halfen Jahreszielpläne dabei, Menschen zu kontrollieren. Im Rahmen der industriellen Effizienzsteigerung sollte alles – ob menschliche Leistung oder maschineller Output – messbar sein. Dies widerspricht inzwischen vollkommen zurecht der zunehmenden Autonomie jedes Einzelnen sowie dem durch Projektarbeit wechselndem Teamgefüge. Heute ist eine Kultur gefragt, die Mitarbeiter dazu motiviert, experimentierfreudig zu sein und sie befähigt, veränderungsfähig zu bleiben. Lernen und sich entwickeln findet in einer agilen Organisation kontinuierlich statt, hat also wenig zu tun mit einem spontan einberufenen Motivations- oder Team-Building-Workshop am Jahresende – in dem womöglich ausführlich darüber debattiert wird, warum dieses oder jenes Ziel nicht erreicht wurde oder wird. Mal ehrlich: Welche Ziele vom Anfang des Jahres machen im letzten Quartal überhaupt noch Sinn, um darauf hinzuarbeiten?

Braucht es Jahresziele überhaupt noch?

Eines stellt sich immer wieder heraus: Jahresziele sind Unsinn, wenn ich in 90-Tages-Zyklen plane! Und falls wirklich eine Zahl fürs Performance-Management benötigt wird, lässt sich diese ganz einfach über die Quartale generieren. Etwas schwieriger gestalten sich da schon Business-Planning-Zyklen – weil sie einerseits an Jahresbudgets hängen, andererseits am Performance-Management und der variablen Vergütung. Hinzu kommt, dass viele Kunden ebenfalls in Jahresbudgets planen und lieber Jahresverträge unterschreiben. Für all das gäbe es sicher Lösungen, wäre das nicht ein weiterer bestimmender Faktor: Bei börsennotierten Firmen diktieren natürlich Behörden und Börsen die Berichterstattung und damit ein gutes Stück auch die Timeline. Ähnlich wie beim Thema Portfolio, könnten aber auch hier Rolling Budgets und dadurch eine Verringerung der Aufwände zur Planung eine Lösung sein.

Wie wirkt sich Agilität auf Bonuszahlungen aus?

Fakt ist: Die Bewertung von Menschen für vergangene Leistungen stehen möglichen Verbesserungen in „Echtzeit” gegenüber. Außerdem sind jährliche Leistungsbewertungen nachweislich nicht hilfreich! Warum? Menschen beziehen sich gedanklich meist auf die Ereignisse der letzten 4-6 Wochen und nicht auf die Entwicklungen davor. Deshalb bieten sich vor allem zwei Prozesse an, um Richtung Jahreswechsel neue Wege zu gehen: Erstens das Performancemanagement und zweitens der Bonus für erbrachte Leistungen. Bislang spielt der Jahresrhythmus dabei oft eine entscheidende Rolle: Wird das Jahresziel – persönlich und/oder unternehmerisch – erreicht, erhalten Mitarbeiter entsprechende Boni. In agilen Organisationen ist das System ein anderes, weil losgelöst von einem Jahresplan Themen eher aufgrund einer rollierenden Strategie regelmäßig reviewed, sprich geprüft, bewertet und ausgerichtet werden. Auch Boni können so – im Idealfall in Verbindung mit einem Teamergebnis – jederzeit und komplett unabhängig vom Jahresverlauf betrachtet und gewährt werden. Alles was wichtig und entscheidend ist, wird also immer gleich während des Jahres verändert. Das nimmt den Dampf aus dem Kessel und Mitarbeiter wie Führungskräfte können ihre Fähigkeiten nicht darin verbrennen, den Jahresendspurt irgendwie zu meistern, sondern ganz entspannt, den Erfolg des neuen Jahres zu planen und auch schon darauf hinzuarbeiten. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein erfolgreiches 2023!

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